Albstadt/Sigmaringen. Wie findet man in Deutschland eigentlich einen Job? Und wo sucht man am besten nach einer Wohnung? Während Einheimische in aller Regel wissen, wo man im Zweifelsfall Hilfe bekommt oder welche Internetportale die größte Aussicht auf Erfolg versprechen, sind solche Fragen für geflüchtete Menschen oft echte Herausforderungen. Um Hilfestellung zu geben, haben zwölf BWL-Studierende der Hochschule Albstadt-Sigmaringen aus dem sechsten Semester in einer Sigmaringer Gemeinschaftsunterkunft des Landkreises einen Informationsnachmittag organisiert. Dabei gaben sie den zahlreichen Interessierten aus der Ukraine, aber auch aus anderen Ländern, wertvolle Tipps zur Job- und Wohnungssuche in Deutschland. Unterstützt wurden sie von ihren Professoren Dr. Maximilian Wolf und Dr. Stefan Ruf. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Caritasverband Sigmaringen und der evangelischen Kirchengemeinde Sigmaringen organisiert.
Wie hoch ist der Mindestlohn in Deutschland, wo kann man auch mit geringen Sprachkenntnissen arbeiten, wie bewirbt man sich richtig, und wie läuft ein Einstellungsgespräch ab? Was ist ein Wohnberechtigungsschein, wo und wie finde ich überhaupt eine Wohnung, und gibt es finanzielle Unterstützung, wenn das eigene Geld (noch) nicht reicht? Das Interesse an den Antworten auf diese und viele weitere Fragen war groß. Die Studierenden informierten auf Englisch, Dolmetscher übersetzten in die verschiedenen Landessprachen, und im Anschluss an den jeweiligen Infoblock stellten die Geflüchteten noch viele Fragen.
„Diese riesige Resonanz war für uns gar nicht absehbar“, sagt die Studentin Zarah Erbse (24). „Es war eine sehr bereichernde Erfahrung, den Menschen in ihren sehr harten individuellen Lebenslagen wenigstens ein bisschen helfen zu können.“ Für ihren Kommilitonen Nils Bußmann (23) war es „lehrreich, mit Leuten zusammenzukommen, zu denen ein Kontakt sonst wahrscheinlich nie zustande gekommen wäre“. Das habe ihn geerdet und ihm vor Augen geführt, wie privilegiert die meisten Menschen in Deutschland leben. „Ich bin sehr dankbar für die Initiative der Professoren“, sagt Daniel Scheff (21). „Auf diese Weise wurden wir ein bisschen an die Hand genommen und haben gemerkt, dass wir mit ziemlich einfachen Mitteln schon wirklich etwas bewirken können.“
Prof. Dr. Maximilian Wolf bezeichnet es als einen „Akt der Menschlichkeit, dass wir uns in der aktuellen Lage fragen, was wir beitragen können“. Der Kurs „International Business“ sei dafür prädestiniert, „denn wir vermitteln den Studierenden dort kulturelle Kompetenzen, die sie hier ganz praktisch anwenden konnten“. Die Zusammenarbeit mit allen Helfenden vor Ort habe hervorragend funktioniert, sagt Prof. Dr. Stefan Ruf. „Und die Studierenden haben sich toll engagiert und in nur vier Wochen Vorbereitungszeit beachtliche Informationspakete zusammengestellt.“
Auch der evangelische Pfarrer Matthias Ströhle und Manuela Friedrich, Ehrenamtskoordinatorin der Caritas, loben die gute Zusammenarbeit. „Ich bin beeindruckt vom Engagement der Studierenden“, sagt Matthias Ströhle. „Wenn wir die derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Krisen lösen wollen, braucht es Solidarität wie diese und die Bereitschaft, über nationale Grenzen hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen“. Sie habe begeistert, mit welcher Offenheit die jungen Menschen mit den ihnen fremden Begebenheiten umgegangen seien, sagt Manuela Friedrich. „Neben der Vermittlung der Inhalte entstand ganz viel Zwischenmenschliches. Es war schön zu erleben, dass beide Seiten sichtlich mehr mitnehmen konnten als den fachlichen Austausch.“
Zu der Reihe „Der Andere Abend“, in der wir am Sonntagabend besondere Gottesdienste feiern, kam im März 2022 ein weiterer Abend hinzu. Im Mittelpunkt stand diesmal das Zitat des Schriftstellers Ödön von Horváth: „Ich bin eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass sich in den vergangenen beiden Jahren so Vieles verändert hat – vor allem im menschlichen Miteinander: Manchmal stellen wir fest, dass wir auf eine Begegnung lieber anders reagiert hätten. Oder merken, dass wir in letzter Zeit nur noch „neben uns stehen“. „Bin das noch ich?“, fragen wir uns dann vielleicht.
Im Laufe des Gottesdienstes hatten dann alle Besucher*innen Gelegenheit, über derartige Situationen aus ihrem eigenen Leben nachzudenken. Auf einer Leine wurden Begriffe gesammelt, die für solche „Eigentlich-Eigenschaften“ stehen: hilfsbereit, kreativ, gelassen, aber auch wütend oder unbequem. Lieder wie „Gegen den Wind will ich rennen, sturmvogelfrei und doch getragen“ (NL 40) machten Mut, öfter wir selbst zu sein – so, wie wir eigentlich sind.
Nach dem großen Erfolg der ersten Vesperkirche in Sigmaringen, die im Herbst gemeinsam von der evangelischen Kirchengemeinde und der Johannes-Ziegler-Stiftung aus Wilhelmsdorf veranstaltet worden war, ist nun eine Fortsetzung geplant. „Wir freuen uns, was die Vesperkirche in Sigmaringen bewirkt hat“, lassen sich Pfarrerin Dorothee Sauer und Pfarrer Matthias Ströhle in einer Mitteilung zitieren. „Daran wollen wir anknüpfen und planen schon die Fortsetzung“. Den genauen Zeitpunkt möchten sie mit dem Mittagstisch „Essen und mehr“ abstimmen, den die katholische Kirchengemeinde organisiert.
Unter dem Motto „Einander sehen – füreinander da sein“ öffneten die evangelische Kirchengemeinde und das Gemeindehaus im Herbst die Türen. Mehr als 500 Essen wurden bei der Vesperkirche ausgegeben. Viele Gäste kamen aber nicht nur zum gemeinsamen Mittagessen, sondern auch zur Orgelmusik und zu den Andachten. Ebenso nutzten sie die Angebote der Sozialberatung von Diakonie und Caritas und des Kleider-Reiches.
Pfarramt I
Dorothee Sauer
Pfarrerin in Sigmaringen & Codekanin im ev. Kirchenbezirk Balingen
Tel. 07571 / 683014
Pfarramt II
Matthias Ströhle
Pfarrer in Sigmaringen & Beauftragter für Hochschulseelsorge im ev. Kirchenbezirk Balingen
Tel. 07571 / 683011