In den letzten Wochen und Monaten war unser Leben sehr eingeschränkt. Auch unser Gemeindeleben in den Kirchen und Gemeindehäusern kam mehr oder weniger vollständig zum Erliegen. Viele Einschränkungen werden uns auch in Zukunft noch beschäftigen.
In vielen von uns ist in dieser Zeit die Sehnsucht nach einem ganz normalen Alltag mehr und mehr gewachsen. Ranga Yoheshwar hat diese Sehnsucht folgendermaßen beschrieben: „Wir haben eine brennende Sehnsucht nach einer unbekümmerten Normalität.“ Auch mir ging es in den letzten Wochen so. Je größer die Einschränkungen waren, umso mehr wünschte ich mir meinen ganz normalen Alltag zurück.
Ich wollte wieder unbekümmert Leuten begegnen. Ich wollte sorgenfrei einkaufen gehen, Eltern und Großeltern besuchen. Stattdessen musste ich erkennen, dass vieles, was ich noch vor wenigen Monaten als ganz selbstverständlich wahrgenommen habe, nun eben nicht mehr selbstverständlich ist.
Doch was ist eigentlich normal? Ist es normal, dass ich, wann immer ich will, in ein Restaurant gehen kann.?Ist es normal, dass wir in den Supermarktregalen immer genügend zum Essen haben? Und welches Recht haben wir auf das, was wir als normal empfinden?
Ich habe in diesen 7 Wochen des Lockdowns gelernt, das, was ich früher als normal empfunden habe, neu als etwas Besonders zu entdecken. Für diese Erkenntnis bin ich dankbar.
Wir Menschen sind Teil der Schöpfung. Wir stehen nicht über ihr. Wir haben keinen Anspruch auf ein perfektes Leben. Wir sind, wie alle Geschöpfe, zerbrechlich und nicht allmächtig. Wir hoffen auf Erlösung.
Das ist vielleicht für mich die wichtigste Erkenntnis aus dieser Zeit. Gott hat uns keine Sehnsucht nach Normalität und Alltäglichkeit ins Herz gelegt , sondern eine Sehnsucht nach dem Reich Gottes. Diese Sehnsucht nach mehr, nach dem, was wir nicht erschaffen und besitzen können, gehört zum Wesenskern unseres Menschseins. Gott hat uns die Ewigkeit ins Herz gelegt, so schreibt der Prediger Salomo, ein Weisheitslehrer aus dem 3. Jahrhundert vor Christi Geburt.
Wir sind mehr als das, was uns auf Erden ausmacht. Wir sind mehr als das, was wir erfahren und erleiden. Mehr als das, was wir schaffen und tun.
Leider wird das Wissen, dass die Sehnsucht nach der Ewigkeit in unserem Herzen verankert ist, oftmals von der Sehnsucht nach dem Alltäglichen verdeckt. Wir streben nach dem Alltag und nicht nach der Unendlichkeit.
Doch wenden wir einmal den Blick vom Alltag ab und blicken auf das „Mehr“, das tief in unserem Herzen wohnt.
Das Wissen, dass wir zum Reich Gottes gehören, gibt große Kraft und Geborgenheit.
Wenn ich mich von der Ewigkeit her verstehe, kann ich auch das irdische Leben so annehmen wie es ist. Von der Perspektive der Unendlichkeit her kann ich Wichtiges von Unwichtigem trennen.
Ich kann dankbar sein für das, was ich habe: für mein tägliches Brot, das Gott mir gibt, und das nicht selbstverständlich ist.
Für die Zeiten der Ruhe, für die Beziehungen, die nun langsam wieder gepflegt werden können. Dies sind meine Schätze, die ich in den letzten Monaten gewonnen habe.
Wir Pfarrer wünschen Ihnen eine gesegnete Sommerzeit. Wir wissen nicht, was das nächste Jahr bringt. Wir wissen nicht, ob die Gemeindehäuser im nächsten halben Jahr geöffnet sind. Wir wissen nicht, wie wir manche Gottesdienste feiern werden. Aber wir wissen eines: Gottes Ewigkeit bleibt. Seien Sie behütet!
M. Ströhle
Pfarramt I
Dorothee Sauer
Pfarrerin in Sigmaringen & Codekanin im ev. Kirchenbezirk Balingen
Tel. 07571 / 683014
Pfarramt II
Matthias Ströhle
Pfarrer in Sigmaringen & Beauftragter für Hochschulseelsorge im ev. Kirchenbezirk Balingen
Tel. 07571 / 683011