Du kommst von Gott. Du gehst zu Gott. Du bist nirgends daheim als nur in Gott.
P. Raphael Hombach
Veröffentlicht in: Gemeindebrief 2/2018
Heimat ist: „Wo ich geboren bin. Wo ich lebe. Was ich esse. Wer meine Freunde sind. Wonach ich mich sehne. Alles zusammen ist Heimat!“ So titelte vor kurzem der Spiegel in seinem Sonderheft „Heimat“.
Diese kleine Zusammenstellung an Sätzen zeigt, wie komplex der Begriff Heimat in der heutigen Zeit geworden ist. Jahrhundertelang war es hauptsächlich ein juristischer Begriff. Es galt das Heimatrecht. Nur wer Grund und Boden besaß, durfte heiraten und ein Gewerbe ausüben. Ausgeschlossen waren die vaterlandslosen Gesellen, Gesinde, Tagelöhner, Leibeigene. Ab der Renaissance erfuhr der Begriff dann eine romantische Überhöhung. Heimat wurde zum Gefühl, zu einem Ort der Geborgenheit. Dieser wurde dann ab der Reichsgründung 1871 patriotisch umgedeutet und mit biologistischen Metaphern von Blut und Boden überladen.
Nach dem zweiten Weltkrieg fand eine weitere Umdeutung statt. Das Idyll bayrischer Bergwelten aus Heimatfilmen prägte den Begriff genauso wie die Versuche von Umweltschützern, die Heimat vor der Zerstörung zu bewahren. Heute ist der Begriff Heimat wieder in aller Munde und er ist politisch geworden. Unsere Heimat, unsere Kultur, das was uns ausmacht, steht auch in Abgrenzung zu den anderen, die möglicherweise unsere Heimat bedrohen.
Aber was meinen wir eigentlich mit dem Begriff Heimat neben der Tradition, dem romantischen Gefühl des beheimatet Seins an einem Ort, wo ich mich geborgen fühle? Und was gehört zur Heimat dazu? Ist es auch die christliche Religion, der sonntägliche Gang zum Gottesdienst?
Die Psychologin Beate Mitscherlich vermutet, dass sich Identität nicht mehr an Orten festmacht: „Es gibt Definitionen wie: Heimat ist, wo man Freunde hat.“ Entscheidend sind dabei Kategorien wie soziale Zugehörigkeit, gemeinsamer Lebensstil, gemeinsame Interessen. Größere Gebilde wie Europa sind dabei weniger Identitätsstiftend wie kleine Gruppen. Ich persönlich erlebe dies jedes Mal, wenn ich Jugendliche frage, was ihnen wichtig ist. Antworten wie Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung des Friedens, sind selten geworden, im Vordergrund steht stattdessen die Familie und der engste Freundeskreis. Die aktuelle Digitalisierung verstärkt diese Tendenz der Fragmentarisierung der Heimat. Meine Facebookfreunde aus aller Welt, die das gleiche liken wie ich, sind mir näher als meine geografischen Nachbarn. Wir können zur Zeit nahe beieinander wohnen und doch keine Gemeinsamkeiten haben, die uns eine Zugehörigkeit zueinander vermitteln. Kurz gesagt: die Welt ist komplex geworden. Nationalistische Strömungen, die weltweit bemerkbar sind, versuchen diese Komplexität zurzeit wieder einzudämmen, jedoch zu einem hohen Preis.
Was bedeutet das für die Kirche, den Glauben und die Evangelische Kirchengemeinde?
In unserem Glauben spielt der Begriff Heimat eine elementare Rolle. Das erste Testament beschreibt ein Volk, das Jahrhunderte auf der Wanderschaft war bis das Königtum gegründet wurde. Kurze Zeit später verlor es die Heimat wieder. Die Katastrophe des Exils führte zur bedeutsamen theologischen Erkenntnis, dass Gott bei den Menschen wohnt, ganz egal an welchem Ort und welcher Zeit wir leben. Im zweiten Testament wird die Entwurzelung des Menschen aus der irdischen Heimat radikalisiert: Wer Jesus nachfolgen will, muss bereit sein, Jesu Heimatlosigkeit zu teilen, bis hin zur Aufgabe der eigenen Familie. Somit wird der Glaube zur neuen Heimat. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ heißt es im Hebräerbrief. Anstelle der irdischen Heimat tritt das Vertrauen auf Gott. Diese Forderung nach irdischer Heimataufgabe war zu Zeiten der ersten Christen im Hintergrund der Hoffnung auf die baldige Rückkehr Jesu möglich, heute ist sie freilich im praktischen Leben kaum umzusetzen. Daher stehen wir als Kirchen heute in einer doppelten Rolle: Wir sind zum einen in der Gesellschaft verwurzelt und tragen Verantwortung für sie. Die Kirche ist also eine Art Brücke zwischen der Lebenswelt der Menschen und der Wirklichkeit Gottes. Sie muss auf Erden Heimat, ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Gemeinschaft vermitteln. Zum andern hat sie ihr Ziel und ihre Grundlegung außerhalb der Welt und muss in ihrem Tun auf die zukünftige Stadt bei Gott und auf das ‚Mehr‘ des Glaubens verweisen. Kirche ist damit Heimat und Fremde zugleich.
Pfarramt I
Dorothee Sauer
Pfarrerin in Sigmaringen & Codekanin im ev. Kirchenbezirk Balingen
Tel. 07571 / 683014
Pfarramt II
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Pfarrer in Sigmaringen & Beauftragter für Hochschulseelsorge im ev. Kirchenbezirk Balingen
Tel. 07571 / 683011