Liebe Gemeindeglieder!
Ein Tuch hängt an der großen Bühne des ökumenischen Kirchenfestes. Provisorisch ist es mit einem Klebeband befestigt. Ich nehme mir die Zeit, fange an zu lesen. Es sind Wünsche, Bibelverse hauptsächlich, Bitten, auch Gebete: „Haltet untereinander Friede“ steht da“, oder „Bleibe bei uns Herr, denn es wird schon Abend“. Ein Mann neben mir erzählt, was es mit dem Tuch auf sich hat: „Vor mehr als 50 Jahren, berichtet er, haben junge Menschen dieses Altarbuch mit Bibelversen gestaltet. Ich bin eigentümlich berührt von diesem Tuch. Es gibt mir den Blick frei auf das, was Menschen damals wichtig war. Ich höre Hoffnungen heraus, Hoffnung auf Frieden zum Beispiel, aber auch nach Gemeinschaft mit Gott und Gerechtigkeit. Das Altartuch bringt mich ins Grübeln. „Wie viele Wünsche dieser jungen Menschen von damals sind wohl heute in Erfüllung gegangen?“. „Und wie sieht es mit meinen eigenen Wünschen für mich und diese Welt aus? Werden sie jemals in Erfüllung gehen?“ Bald ist nun wieder Weihnachten, das Fest an dem sich unsere Hoffnungen auf ganz besondere Weise an einem Ort konzentrieren. Wie jedes Jahr werde ich in den Weihnachtsgottesdiensten das Weihnachtsevangelium von der Geburt Jesu lesen. Es ist die große Verheißung des Engelschors, die die Geschichte von der Geburt Jesu prägt und deutet: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ „Euch ist heute der Heiland geboren.“ - Es ist ein Satz, der alle Grenzen von Raum und Zeit durchbricht. Heute in diesem Moment, in dieser Krippe, die damals in Bethlehem stand und heute überall stehen könnte, ist die göttliche Gnadenzeit angebrochen, so sagt es die Verheißung. Ist dies so? In der Realität erlebe ich es oft anders! Unsere Hoffnungen sind nicht erfüllt, die Zeit des Heils und der Gemeinschaft mit Gott ist noch nicht da. Als Theologe kann ich diese Diskrepanz zwischen Verheißung und Realität leicht mit dem Hinweis auf den sogenannten eschatologischen Vorbehalt begründen: Das Reich Gottes ist in Jesus schon angebrochen aber noch nicht vollendet. Aber ist dies tröstlich für die Zweifelnden und Verzweifelten? In meinen Fragen und Suchen nach einer Antwort erinnere ich mich immer wieder an eines der schönsten Weihnachtslieder, das ich kenne. Der Stuttgarter Pfarrer Hans Friz hat es geschrieben und sein Sohn, Thomas Fritz, Mitglied des Duos Zupfgeigenhansel, hat es vertont: „Unbegreiflich, unaussprechlich ist’s und bleibt’s zu aller Zeit. Alles, alles ist zerbrechlich, aber Heil in Ewigkeit.“ So heißt die letzte Strophe. Für mich ist das, das Wunder von Weihnachten. Dass unsere zerbrechliche Existenz, unser ganzes Wünschen und Hoffen in Gottes Ewigkeit aufgehoben ist. Dies hat Gott uns gezeigt, indem er selbst im Zerbrechlichsten, das es gibt, in einem Kind, in der unwirtlichen Wirklichkeit eines Stalls zur Welt gekommen ist. Gott ist in unsere gebrochene Welt gekommen. Er steht nicht außerhalb der Welt, sondern wurde Teil gerade dieser Welt. Und doch bleibt er der Heiland, der die Welt heilt und schon geheilt hat - wie es die Engel gesungen haben. Oder anders gesagt, unsere Hoffnung ist in Gottes Verheißung geborgen. Dies ist für uns wahrlich unbegreiflich, unaussprechlich. Für Gott aber ist es Realität. Ihr M. Ströhle
Pfarramt I
Dorothee Sauer
Pfarrerin in Sigmaringen & Codekanin im ev. Kirchenbezirk Balingen
Tel. 07571 / 683014
Pfarramt II
Matthias Ströhle
Pfarrer in Sigmaringen & Beauftragter für Hochschulseelsorge im ev. Kirchenbezirk Balingen
Tel. 07571 / 683011